Keine Einschränkung von Aktionärsrechten durch die Coronagesetzgebung


Der VR einer AG mit rund 33 Aktionären lud am 06. Mai 2020 schriftlich zur jährlichen ordentlichen Generalversammlung (GV) am 18. Juni 2020 ein. Er teilte dabei mit, dass die GV gestützt auf Art. 6b der damals geltenden Covid-19-Verordnung 2 des Bundesrats (heute Art. 8 Covid-19 Gesetz), auf schriftlichen Weg stattfindet. Auf der Traktandenliste war in Traktandum 6 eine Totalrevision der Statuten traktandiert. Das Traktandum 6 war zweigeteilt: in Traktandum 6.1 war die Zweckänderung, in Traktandum 6.2 die Änderung der übrigen Statuten traktandiert. Der Traktandenliste lag ein Stimmzettel bei, auf dem die Aktionäre zu den Anträgen des VR mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ abstimmen konnten, indem sie ein entsprechendes Kreuz setzten. Der Stimmzettel musste bis 17. Juni 2022 beim VR eintreffen.

Mit Schreiben vom 06. Mai 2020 beantragte eine Aktionärin dem VR zuhanden der GV, die Statutenrevision auf eine der nachfolgenden Generalversammlungen zu verschieben, weil aufgrund der schriftlichen Durchführung keine Diskussion zu diesem wichtigen Geschäft möglich war. Für den Fall, dass die Generalversammlung diesem Antrag nicht folgen sollte, sei der Antrag des VR auf Revision von näher bezeichneten Artikeln der Statuten abzuweisen.

Der VR befand am 02. Juni 2020, der Antrag der Aktionärin auf Verschiebung der Statutenrevision sei ein Verfahrensantrag. Verfahrensanträge würden in der Entscheidkompetenz des Vorsitzenden der Versammlung liegen und nicht in der Kompetenz der Aktionäre. In der Folge wurden die Anträge der Aktionärin nicht der Generalversammlung unterbreitet.

Die GV fand am 18.06.2020 in Abwesenheit der Aktionäre statt. Die Zweckänderung in Traktandum 6.1 wurde abgelehnt, die Revision der übrigen Statuten unter Traktandum 6.2 angenommen. Die Aktionärin focht zusammen mit zwei anderen Aktionärinnen den Beschluss der GV vom 18. Juni 2022 zu Traktandum 6.2 an und beantragte, der Beschluss sei für ungültig zu erklären und aufzuheben, sofern er ohnehin nicht nichtig ist. Die Aktionärin machte eine Verletzung ihres Antragsrechts geltend und rügte zudem, dass die Aktionäre in der Zweiteilung des Traktandums 6 ihren Willen nicht unverfälscht zum Ausdruck bringen konnten, weil auf dem Stimmzettel nicht abgebildet war, wie der Aktionär seinen Willen kundgeben konnte, für den Fall, dass die Änderung des Zweckartikels in Traktandum 6.1 verworfen wird.

Das Zivilkreisgericht Basellandschaft West folgte der Argumentation der Aktionärin, hiess die Klage gut und stellte die Nichtigkeit des Beschlusses zu Traktandum 6.2 fest. Dagegen erhob der VR Berufung beim Kantonsgericht Baselland. Dieses wies die Berufung kostenfällig zulasten der AG am 10. Mai 2022 ab.

Das Kantonsgericht führte aus, dass es sich beim Verschiebungsantrag der Aktionärin rechtlich um einen zulässigen Verschiebungsantrag handelt und nicht um einen Absetzungsantrag, wie der VR in der Berufung argumentierte. Die Aktionärin hat mit ihrem Verschiebungsantrag rechtsgültig von ihrem Antragsrecht gem. Art. 700 Abs. 4 OR Gebrauch gemacht. Der Verschiebungsantrag hätte somit der GV zur Abstimmung vorgelegt werden müssen.

In Bezug auf Art. 6b Covid-19-Verordnung 2 stellte das Kantonsgericht fest, dass diese Bestimmung keine prinzipielle Einschränkung der Aktionärsrechte anordne. Zwar entfallen bei einer schriftlichen Durchführung einer GV notgedrungen das persönliche Teilnahmerecht, das Rederecht und das Diskussionsrecht wegen der Beachtung des Gesundheitsschutzgedanken. Die weiteren Aktionärsrechte, wie das Antragsrecht und das Stimmrecht, bleiben jedoch auch bei einer Pandemie bestehen. Den Aktionären hätte analog einer physischen GV nach der Zustellung der Traktandenliste die Möglichkeit geboten werden müssen, Anträge zu den traktandierten Gegenständen zu stellen. Der VR hätte den Aktionären dieses Recht ohne weiteres zugestehen können und müssen, indem er den Aktionären eine Frist zur Einreichung von Anträgen setzte und danach den Aktionären eine um die Anträge ergänzte Traktandenliste mit dem entsprechenden Abstimmungsbogen zugestellt hätte. Dadurch, dass der VR den Aktionären diese Möglichkeit verweigert hat, hat er die Aktionärsrechte unzulässig ausgehebelt.

Das Kantonsgericht erblickte auch in der Aufteilung des Traktandums 6 in zwei Untertraktanden eine unzulässige Verletzung des Stimmrechts gem. Art. 692 OR. Weil die Option der Stimmabgabe für den Fall, dass das Traktandum 6.1. (Änderung des Zweckartikels) verworfen werden sollte, auf dem Stimmrechtszettel nicht abgebildet wurde, wurde eine abschliessende Willensbildung verunmöglicht.

Aufgrund der Schwere der festgestellten Verletzung der Mitwirkungsrechte der Aktionärin und der Tragweite der zu beschliessenden Geschäfte erkannte das Kantonsgericht als einzige Rechtsfolge die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses.